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Eine Gruppe gut gelaunter Mädchen, zwei von ihnen pusten Seifenblasen

Artikel Neue Westfälische

Artikel Neue Westfälische | 07.05.2019

Kindesmissbrauch: Auch in Bielefeld gibt es Opfer wie in Lüdge

Hilfe für junge Missbrauchsopfer: Expertinnen vom Mädchenhaus kennen viele Jugendliche und junge Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren und teils Ähnliches wie im Fall Lüdge erlebt haben.

Bielefeld. Im Missbrauchsfall Lüdge schieben sich die Verantwortlichen gegenseitig die Schuld zu. Aber was ist mit den jungen Opfern? Was kann man tun, damit sie mit ihrem Schicksal irgendwie klar kommen? Und hoffentlich irgendwann ein angstfreies, selbstbestimmtes und vielleicht sogar glückliches Leben führen können. „Wir kennen solche Schicksale", sagt Sylvia Krenzel, Psychologin, Traumatherapeutin und Leiterin der Beratungsstelle des Mädchenhauses. Seit 1987 kümmert sich der Verein um Mädchen und junge Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind.

Viele Mädchen lassen jahrelang Übergriffe über sich ergehen

Mädchen und junge Frauen, die Schlimmes erlebt haben. Und sich oft lange nicht trauen, sich jemandem anzuvertrauen. Die Folgen: ganz unterschiedlich. Ängste und Panikattacken, unerklärbare Schmerzen, Alpträume, Aggressionen, tiefe Traurigkeit, Schwierigkeiten in der Schule, Essstörungen, Selbstmordversuche. „Das Unbeschwerte fehlt – und das isoliert", sagt Krenzel. Oberstes Gebot der Expertinnen vom Mädchenhaus: Die Privatsphäre der Klientinnen muss geschützt werden. Nur so könne den Opfern größtmögliche Kontrolle zurückgegeben werden. Genau darum gehe es. „Viele Mädchen lassen jahrelang Übergriffe über sich ergehen, weil sie sich nicht wehrenkönnen, nie gelernt haben, Grenzen zu setzen oder ihnen gar nicht bewusst ist, dass sie das nicht erdulden müssen", berichtet Krenzel.

Schambesetztes Thema aus der Tabuzone holen

Deshalb sei es so wichtig, das schambesetzte Thema aus der Tabuzone zu holen und unbürokratische Hilfsangebote ohne Hemmschwellen zu schaffen – auch für das Umfeld. Nicht lange erklären oder sich gar rechtfertigen müssen, sondern einfach verstanden werden, ist die Devise der auf sexualisierte Gewalt spezialisierten Beratungsstelle. Jederzeit – und vor allem schnell – sollen alle, die in irgendeiner Form damit konfrontiert werden, Hilfe bekommen. Und sich trauen, „das böse, schlechte Geheimnis", das sie oft Wochen oder Monate mit sich herum tragen, zu lüften. „Viele melden sich erst einmal per Email", berichtet Krenzel. Da sei die Hemmschwelle niedriger. „Keinesfalls dürfen wir das kurze Zeitfenster, in dem Mädchen den Mut haben, sich an uns zu wenden, verpassen." Viele schafften es erst nach einer Zeit, zum persönlichen Gespräch vorbei zu kommen. Manche benötigten lange, um das Thema überhaupt benennen zu können. „Man braucht bei uns keine Versichertenkarte, kann anonym bleiben und auch die Eltern werden nicht informiert, wenn die Mädchen das nicht möchten", sagt Krenzel.

Trotz allem ein glückliches, erfülltes und selbstbestimmtes Leben führen können

Um Betroffene ab zwölf Jahren kümmert sich das Mädchenhaus. Bei jüngeren Kindern seien es oft die Schulsozialarbeiter, die den Erstkontakt herstellen. „Wenn man schnell und zum richtigen Zeitpunkt Hilfe sowohl vom sozialen Umfeld als auch von professioneller Seite bekommt, kann auch sexualisierte Gewalterfahrung überwunden werden", sagt Krenzel. Viele Mädchen schafften es, die schlimmen Erlebnisse als Teil ihrer Biografie anzunehmen und dann trotzdem ein glückliches, erfülltes und selbstbestimmtes Leben zu führen. „Würdigung" sei dabei ein wichtiges Stichwort: Das Leid zu benennen und nicht tot zu schweigen. Und dann die Würde wieder aufzurichten. Nicht auf die Opferrolle reduziert, sondern als ganze Person gesehen zu werden, sei wichtig. Resilienz, eine innere Stärke und Fähigkeit, Krisen und Schicksalsschläge zu meistern und im besten Fall gestärkt daraus hervorzugehen, sei dabei ein Thema. Da habe jeder ganz unterschiedliche Ressourcen.

Je verflochtener das Beziehungsgeflecht zwischen Opfer und Täter, desto schwieriger sei die Verarbeitung. Abgrenzung sei ein Aspekt, ganz klar den Täter als Täter sehen zu können. Doppelt schlimm sei es, wenn Missbrauch im gleichen System, in dem das Kind eigentlich Geborgenheit erfahren sollte, passiert. Die Situation des Mädchen, das auf dem Campingplatz beim Pflegevater gelebt hat, sei besonders dramatisch. „Es war zu klein, um sich wehren zu können, konnte nicht lernen, dass Gewalt nicht in Ordnung ist, dass das was es erlebt, nicht Normalität ist, hatte keine Familie oder Bezugspersonen, denen es sich anvertrauen konnte", sagt Krenzel. "Kinder sind darauf angewiesen, dass Erwachsene ihre Hilferufe erkennen und handeln."Durch Lüdge sei sexualisierte Gewalt gerade wieder im Gespräch. Aber trotz aller Bemühungen und Präventionsprogrammen wie das Grundschulprojekt „Mein Körpergehört mir" sei es für viele immer noch ein Tabuthema.

Viele schauen immer noch weg

Viele aus dem direkten Umfeld der Betroffenen schauten immer noch eher weg. Nicht aus bösem Willen, sondern oft aus Unglauben. „Sexualisierte Gewalt betrifft den Querschnitt der Bevölkerung", sagt Krenzel. Genau das sei für viele so unvorstellbar – und gleichzeitig ein großer Täterschutz. „Auch da sind wir Ansprechpartner für alle, denen irgendetwas auffällt oder die Fragen haben zum Thema sexualisierte Gewalt und Missbrauch", ergänzt Krenzel.

Neben der Beratungsstelle gibt es vom Mädchenhaus auch eine Wohngruppe, in der jungen Frauen aus ganz Deutschland Zuflucht finden. Wie das Beratungsangebot des Mädchenhauses jungen Opfern hilft, zeigen Rückmeldungen: „Es ist gut, über Dinge sprechen zu können, die ich sonst nicht erzählen kann." „Es ist gut, einen sicheren Ort zu finden im Leben. Ein Ort, wo sexualisierte Gewalt thematisiert wird." „Hier habe ich Halt bekommen, wo ich vollkommen entwurzelt war. Ich fand meine Identität wieder, wo ich mich nur als Opfer gesehen habe." „Hier durfte ich loswerden, was mein Innerstes bedrückte."

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